Vorgangslisten im Einbürgerungsverfahren?

Die Staatsanwaltschaft (inkl. Jugendanwaltschaft) führt sogenannte Vorgangslisten. Diese sind im Grunde genommen nichts anderes als ein auf eine bestimmte Person bezogener Auszug aus der Geschäftskontrolle der Staatsanwaltschaft. Enthalten sind darin Angaben darüber, gegen wen wann ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen eingeleitet wurde, sowie ob, wann und wie dieses erledigt worden ist. Die Vorgangslisten umfassen somit auch Angaben über Verfahrenserledigungen, die nicht im schweizerischen Strafregister eingetragen worden sind (Verfahrenseinstellungen, Verfahrensabtretungen und nichteintragungspflichtige Urteile). Bei den auf den Vorgangslisten ausgewiesenen Vorgängen handelt es sich mindestens teilweise um besondere Personendaten. Ausserdem geben sie nicht bloss erhärtete und gesicherte Informationen wie Urteile wieder, sondern enthalten beispielsweise auch Verdachtsmeldungen, die keine Weiterungen zur Folge hatten, und Informationen aus Strafverfahren, die nicht eröffnet oder eingestellt wurden. Insbesondere finden sich auf den Listen auch Angaben zu Verfahren, in denen die beschuldigte Person noch gar keine Kenntnis davon hat, dass gegen sie ein Strafverfahren geführt wird.

Das Bearbeiten derart sensitiver Daten bedarf einer qualifizierten Rechtsgrundlage in einem Gesetz im formellen Sinn. Besondere Personendaten dürfen bearbeitet werden, «wenn ein Gesetz dazu ausdrücklich ermächtigt oder verpflichtet» (sog. unmittelbare gesetzliche Grundlage) «oder es für eine in einem Gesetz klar umschriebene Aufgabe zwingend notwendig ist» (sog. mittelbare gesetzliche Grundlage). Ausserdem muss jedes Bearbeiten von Personendaten verhältnismässig sein. Dieselben Voraussetzungen gelten für das Bekanntgeben von Personendaten; zusätzlich kann eine Bekanntgabe aber im Einzelfall durch die ausdrückliche (und freiwillige) Einwilligung der betroffenen Person gerechtfertigt werden. Allerdings schliesst die ausdrückliche Beschränkung auf den Einzelfall eine Standardbekanntgabe aus; ausserdem kann eine Einwilligung nicht als freiwillig angesehen werden, wenn ohne sie das Einbürgerungsverfahren nicht durchgeführt wird.

Eine unmittelbare gesetzliche Grundlage, welche zur generellen Übermittlung der Vorgangslisten der Staatsanwaltschaft an die Einbürgerungsbehörden von Kanton und Gemeinden ausdrücklich ermächtigt oder verpflichtet, fehlt. Somit bleibt im Moment einzig die Möglichkeit der Rechtfertigung in Form einer mittelbaren gesetzlichen Grundlage: Die nicht-einzelfallbezogene Übermittlung und Verwendung der Vorgangslisten ist zulässig, wenn sie für eine in einem Gesetz klar umschriebene Aufgabe zwingend notwendig ist. Notwendig ist eine solche Übermittlung und Verwendung, wenn es kein milderes Mittel gibt, mit welchem die gesetzliche Aufgabe erfüllt werden kann – mit anderen Worten: wenn die gesetzliche Aufgabe ohne die besonderen Personendaten, mit weniger solchen Personendaten oder mit weniger sensitiven Personendaten nicht erfüllt werden kann. Mit der Formulierung, dass die Datenbekanntgabe und -bearbeitung nicht nur erforderlich, sondern zwingend notwendig sein muss, hat der Gesetzgeber bewusst einen strengen Massstab vorgegeben.

Nach dem Bürgerrechtsgesetz haben die Einbürgerungsbehörden «die notwendigen Erhebungen» durchzuführen, um beurteilen zu können, ob die Bewerberinnen und Bewerber die Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen.

Daraus ergibt sich nach unserer Beurteilung, dass diese Bestimmung des Bürgerrechtsgesetzes keine gesetzliche Grundlage abzugeben vermag «für alles», sondern bloss eine (mittelbare) gesetzliche Grundlage für das zur Aufgabenerfüllung zwingend Erforderliche. Die vollumfängliche Übermittlung der Vorgangslisten in allen Gesuchsfällen, ungeachtet sachlicher oder zeitlicher Kriterien, erscheint uns unverhältnismässig und steht damit im Widerspruch zu den datenschutzgesetzlichen Vorgaben.

Ergebnis

Eine vollumfängliche Übermittlung der Vorgangslisten in allen Gesuchsfällen, ungeachtet sachlicher oder zeitlicher Kriterien, ist unverhältnismässig und steht damit im Widerspruch zu den datenschutzgesetzlichen Vorgaben.
Ausserdem sind die bevorstehenden Gesetzesänderungen in Bund und eventuell im Kanton zu beachten.

Anmerkung

Der ursprüngliche Fall ist mit Quellennachweisen im Tätigkeitsbericht 2011 publiziert (dort Fall 6, S. 31). Tätigkeitsbericht 2011

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